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Gendern hilft

Zu sehen ist ein englischsprachiges Spraypaint: Bridging the Distance. Im Beitrag geht es darum, mit Gendern die gesamte Zielgruppe anzusprechen.

So kommunizieren, dass sich die Zielgruppe angesprochen fühlt: eine eiserne Regel für Marketing und PR. Was, wenn die Zielgruppe nicht nur männlich ist? Dem üblichen Sprachgebrauch folgend würde die Pluralform des generischen Maskulinums genügen, um die Zielgruppe zu erreichen. Spätestens seit Marlies Krämer 2018 vor den Bundesgerichtshof zog, wissen wir jedoch, dass „mitgemeint“ eben nicht persönlich angesprochen bedeutet. Professionelle Kommunikation muss sich daher mit dem Gendern auseinandersetzen.

Die Ansprüche an gendergerechte Sprache entwickeln sich

Claudius Kroker widmet sich in einem Beitrag auf pressesprecher.com dem Gendern in der Kommunikation und zitiert darin Joseph Pulitzer. Bei Pulitzer heiße es: „Schreibe kurz, klar und bildhaft.“ Kroker sieht die Herausforderungen des Genderns mehr in der Kürze und Lesbarkeit. Aus Pulitzers Zitat ziehe ich jedoch das Bildhafte. Frauen (wie auch nichtbinäre Geschlechter) finden im generischen Maskulinum einfach nicht statt – oder sehen Sie beim Wort „Ärzte“ etwa Frauen vor Ihrem inneren Auge?

Selbst wenn wir den Themenkomplex der vollen Teilhabe und Chancengleichheit in unserer Gesellschaft außen vor lassen, gibt uns weiterhin die Zielgruppe die Messlatte vor für den Kommunikationserfolg. Wenn die Botschaft Teile der Zielgruppe – hier Frauen und nichtbinäre Menschen – verfehlt, ist das denkbar schlecht. Streuverlust ist ein harmloses Wort dafür. Noch schlechter wird es, wenn diese Zielpersonen merken, dass sie lediglich „mitgemeint“ sind. Möglicherweise verleihen sie der wahrgenommenen fehlenden Wertschätzung Ausdruck, indem sie sich bewusst abwenden, woanders kaufen und schlimmstenfalls auch noch mit anderen Menschen darüber sprechen. Sie kennen das ja mit den Beschwerden, die häufiger weitererzählt werden als zufriedenstellende oder begeisternde Erlebnisse.

Kommunikation muss sich entwickeln – hin zum bewussten Gendern

Die Frage nach dem richtigen Gender-Maß beschäftigt uns ebenso wie die Herausforderung an sich, diskriminierungsfrei zu formulieren und zugleich die Zielgruppe zu erreichen. Die Sprache entwickelt sich und wir entwickeln uns mit ihr. Fanden wir zu Beginn häufiger das Binnen-I vor (z.B. „AkademikerInnen“), gewann zwischenzeitlich das Gendersternchen („Teilnehmer*innen“) an Bedeutung. Oder beide Geschlechter werden genannt („Ärztinnen und Ärzte“) bzw. in Varianten mit Schrägstrichen oder Unterstrichen aufgeführt („Berater/innen“ oder „Berater_innen“), was nichtbinäre Menschen tendenziell unberücksichtigt lässt. Singular-Begriffe stellen häufig die größte Herausforderung dar, gerne auch in Stellenanzeigen mit Formulierungen wie „Wir suchen eine/n Steuerberater*in (w/m/d)“. Die Version mit Doppelpunkt – „Kommunikator:innen“ – hat den Charme, dass Screenreader sie eindeutig wiedergeben: Diese Tools, die Menschen mit Sehbeeinträchtigungen auf Websites nutzen, lesen „Kommunikator PAUSE innen“ laut vor.(1)

Barrierefreiheit ist übrigens ein weiteres Thema, mit wir uns in der Kommunikation auseinandersetzen müssen. Ein anderes Mal.

Erstaunlich: Einer aktuellen Befragung zufolge (Trendreport von news aktuell und Faktenkontor) hat für viele Kommunikator:innen „gendergerechte Sprache schlichtweg keine Bedeutung“. 53 Prozent der Kommunikationsprofis finden Gender-Speech eher bzw. völlig unwichtig. Gleichzeitig ist es bezeichnend, dass es in der Einschätzung der Wichtigkeit große Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt. Honi soit qui mal y pense.

Fingerspitzengefühl gefragt

Ich selbst benutze den Doppelpunkt. Meinen Kund:innen schlage ich das Doppelpunkt-Gendern vor (und sie entscheiden, was sie für die Sprache ihres Unternehmens oder ihrer Institution bevorzugen). Gleichzeitig achte ich darauf, dass es sprachlich möglichst wenig holpert und sich weiterhin gut lesen lässt. Da kann das Gerundium punktuell hilfreich sein: „Teilnehmende“ statt „Teilnehmer:innen“. In der Schweiz verwendet man beispielsweise schon lange den Begriff „Mitarbeitende“. Oder eine andere Formulierung wählen: „Kinder“ statt „Mädchen und Jungen“ liegt nahe (zumal damit auch nicht-binäre Menschen angesprochen sind). Obendrein kann die Vielfalt der verwendeten Sprache die Suchmaschinenoptimierung unterstützen, das ist ebenfalls hilfreich auf dem Weg zum Kommunikationsziel.

Fazit: Es gibt kein richtig oder falsch. Wir mögen auf dem Weg sein, aber noch lange nicht am Ziel. Ihre Zielgruppe entscheidet, ob Ihre Sprache sie erreicht, überzeugt und ihre Einstellungen und ihr Verhalten beeinflussen oder ändern hilft.

 

 

Linktipps

(zuletzt abgerufen am 07.07.2020):

  • Über Marlies Krämer im Tagesspiegel: hier
  • Claudius Krokers Beitrag: hier
  • In der „Sprachbar“ der Deutschen Welle, also für Deutschlernende: hier
  • Trendreport Februar 2020 im newsaktuell-Blogbeitrag „Do you speak gender?“: hier

Ergänzt am 24.09.2020: Johanna Usingers Website „Genderwörterbuch“ mit mehr als 1.000 Begriffen gibt es hier.

 

(1) Randbemerkung: Dass diese Kunstpause auch im gesprochenen Wort jenseits von Screenreadern funktioniert, um Gendern zu transportieren, erlebte ich in einer Session mit der Journalistin Melina Borčak auf der republica 2019. Zum bezeichnenden Thema „‘Oops‘ ist keine Ausrede! – Wie wir unabsichtlich diskriminierende Berichterstattung verhindern können“ machte sie jene Pausen im Sprechen durchgehend.